Zwei deutschsprachrige Erklärungen zum Prozess gegen Gegner*innen des Atomklos Bure in Bar-Le-Duc, beginnend am 1.6.2021
Der Übeltäter ist der Atomstaat (23. Mai 2021)
Wegen einer angeblichen « kriminellen Vereinigung » und illegalen Protesten werden sich sieben AktivistInnen des Kampfes gegen den französischen Atomstaat (1) am 1., 2. und 3. Juni 2021 vor dem Gericht von Bar-le-Duc (2) im Departement Meuse verantworten müssen.
Ihnen wird vorgeworfen, den angeblich kriminellen Widerstand gegen das atomare Endlagerprojekt organisiert zu haben, das die ANDRA (Nationale Agentur für die Entsorgung radioaktiver Abfälle) in den Gemeinden Bure und Saudron im Osten Frankreichs plant. Ihnen wird vorgeworfen, an der Organisation von Aktionen gegen das Atom-« Labor » in Bure teilgenommen zu haben, illegal demonstriert zu haben, im Besitz von « Explosivmitteln » gewesen zu sein und/oder Infrastrukturen zur Verfügung gestellt zu haben, die für rebellische Aktionen gegen ANDRA in den Jahren 2015 bis 2018 genutzt wurden (3).
Es ist jedoch kein demokratischer Prozess, der die Idee dieser verstrahlenden und unumkehrbaren Atommülldeponie begleitet. Unter anderem wurden mehr als 50.000 Unterschriften, die ein Referendum über das so genannte Labor forderten, von der politischen Macht ignoriert (4).
In 500 Metern Tiefe unter Tage will die EDF fast 90.000 m³ vom gefährlichsten Müll einer Industrie abladen, die angeblich ökologisch, ökonomisch außer Atem und – wie Windscale, Majak, Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, um nur die verheerendsten Unfälle zu nennen – schädlich für Mensch und Umwelt ist.
Der Widerstand gegen CIGEO (Centre Industriel de Stockage Géologique), der Mitte der 2010er Jahre mit zahlreichen Demonstrationen, Aktionen und Besetzungen neuen Schwung gewann, wurde schnell mit einer beispiellosen Überwachung gekontert: Es folgten zahlreiche Hausdurchsuchungen, Dutzende von Aufenthaltsverboten, Inhaftierungen und unfassbare Polizeigewalt an der Maas (5). Seit der Verschärfung des Kampfes in den 1990er Jahren (6) geht es bei der Umsetzung der technologischen und repressiven Maßnahmen gegen die Bevölkerung um phänomenale Subventionszahlungen, Bestechung von Mandatsträgern, skrupellose Repression und die Militarisierung eines ganzen Territoriums, auf dem der französische Atomstaat mit allen möglichen angrenzenden Projekten aktiv ist : vom EdF-Archiv in Houdelaincourt bis zum Modell der 1:1-Seilbahn von POMA in Froncles, über den Stützpunkt von St. Dizier, bis hin zu den nuklearen Wäschereien, die dank der Mobilisierung der Bevölkerung in Joinville nicht durchgesetzt werden konnten (7).
Die Anklage gegen eine sogenannte « Übeltäterbande » im Juni 2018 richtet sich gegen Menschen, die sich gegen die weitere Umweltzerstörung engagieren, zu einem Zeitpunkt, an dem ein Kurswechsel mehr als notwendig ist. Um den Trugbildern des Extraktivismus und dieser energieintensiven Art der industriellen Organisation von Energie auf kolonialer Basis ein Ende zu setzen, mit Projekten, die unmöglich zu bauen und zu sichern sind, ist es notwendig, den umweltpolitischen Kampf zu intensivieren und der übermäßigen Kriminalisierung einer ganzen Bewegung ein Ende zu setzen (8).
Die sieben Personen, Die sieben Personen die in Bar-le-Duc vor Gericht stehen, sind stellvertretend für alle Projektgegner*innen angeklagt. Wir solidarisieren uns vorbehaltlos mit all Denjenigen, die sich heute gegen CIGEO und die atomare Welt stellen (9). Wir verurteilen die Ungerechtigkeit die allen unseren Genossen angetan wird, die sich am Kampf gegen dieses tödliche Projekt beteiligen, auf das Schärfste. Wir fordern die bedingungslose Freilassung unserer Freunde und eine angemessene Entschädigung für den moralischen Schaden und den Entzug der Bewegungs- und Meinungsfreiheit, den sie in den letzten drei Jahren erlitten haben.
CIGEO wird weder in Bure noch anderswo gebaut!
Freispruch und Freiheit für die Angeklagten des Prozesses vom 1., 2. und 3. Juni!
(1) reporterre.net/Le-nucleaire-conduit-la-France-dans-une-impasse
(2) ldh-france.org/rapport-sur-les-evenements-survenus-a-bure-et-sur-leur-traitement-judiciaire/
(3) sortirdunucleaire.org/1-2-3-JUIN-a-BAR-LE-DUC-contre-Cigeo-le-nucleaire
(4) taz.de/Geplantes-Atommuell-Lager-in-Lothringen/!5176927/
(5) mediapart.fr/journal/dossier/france/bure-nucleaire-et-surveillance-de-masse
(6) seuil.com/ouvrage/bure-la-bataille-du-nucleaire-gaspard-d-allens/9782021377095
(7) burestop.free.fr/spip/spip.php?rubrique19
(8) linksunten.indymedia.org/archiv/orte/1093/index.html
(9) bureburebure.info/groupes/
Kriminell sind die Ermittlungsbehörden – Freiheit für die Angeklagten von Bure!
Quelle: https://de.indymedia.org/node/148534 (18.05.2021)
Anfang Juni wird die Anklage der französischen Justiz wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung“, Beteiligung an illegalen gewaltsamen Versammlungen und Besitz von angeblichen „Sprengmitteln“ gegen sieben Atomkraftgegner·innen in Bar-le-Duc (Meuse – Dept. 55) verhandelt. Vom 1. bis 3. Juni wird zur Prozessbegleitung mobilisiert und dazu aufgerufen CIGEO („Industrielles geologisches Tiefenendlager“) den Prozess zu machen. Es sind zahlreiche kreative Aktionen und kritische Versammlungen bei den Justizgebäuden in der Oberstadt geplant.
CIGEO geht uns alle an
In Bure, keine 200 Kilometer von der deutschen, Schweizer und Luxemburger Grenze, auf halber Strecke zwischen Basel und Paris, plant die französische Atomindustrie die „Endlagerung“ von zigtausenden Kubikmetern hochradioaktivem Strahlenmüll in einem 500 Meter tiefen Loch.
Trotz eines von Beginn an spürbaren Widerstandes, wird seit über 20 Jahren jedes demokratische Beteiligungsverfahren zur Farce, der wütende Protest ignoriert und mit viel Geld um Zustimmung geworben. Besonders ab 2015 gab es immer mehr radikale Aktionen infolge derer der Polizeiapparat eine spektakuläre Überwachung und Repression gegen die Atomkraftgegner*innen initiierte. Am 22. Februar 2018 wurde die eineinhalbjährige Besetzung der Endlagerstätte geräumt.
Nach zahllosen Hausdurchsuchungen, Aufenthalts- und Ausreiseverboten, Kontaktsperren und teilweise Gefängnisstrafen ist eine zwischenzeitlich zwölf Menschen betreffende Ermittlungsprozedur im Dezember 2020 abgeschlossen worden. Sieben Angeklagte sollen sich nun in den ersten Junitagen vor Gericht verantworten. Die 15.000 Seiten an Ermittlungsakten und zehntausende Stunden an Abhörprotokollen sollen ihre kriminelle Gesinnung belegen und bedrohen die Genoss·innen mit erneuten Strafen.
Wir gegen den Atomstaat
Die Nutzung von Kernenergie und der Endlagerwiderstand gilt seit Jahrzehnten als Bezugspunkt der radikalen Linken. Der sogenannte „Atomausstieg“ führte in den letzten zehn Jahren zu einem Verblassen des Widerstandes – zu Unrecht. Denn Deutschland produziert weiterhin Brennelemente, ist an der Entwicklung des EPR-Reaktors aktiv beteiligt, trägt das Euratom-Abkommen und will seine 30.000 Kubikmeter hoch radioaktiven Strahlenmüll ebenfalls in einem großen Loch „entsorgen“.
Die vergangenen Kämpfe von Brokdorf, Kalkar, Grohnde, Wackersdorf und Gorleben sind nicht mehr aus unserem politischen Gedächtnis zu löschen. Über Jahrzehnte haben diese Auseinandersetzungen die umweltpolitische Geschichte in der BRD geprägt. Das Gorleben-Aus als möglicher Standort für ein Endlager im Herbst 2020 sollte uns in diesem Widerstand bestätigen: Die Vielfalt der Bewegung hat es geschafft das Wahnsinnsprojekt nach 43 Jahren zu stoppen.
Doch heute fahren weiterhin Atomtransporte durchs Land, produziert die BRD-Industrie fleißig und unterstützt die Politik mit allem Notwendigen für den globalen Fortbestand dieser tödlichen Technologie. Mittlerweile wird die, mit Kohlekraft gewonnene und mit Dieselloks und -Schiffen aus ehemaligen Kolonien geförderte Nuklearenergie, sogar als Klimaretter gehandelt. Aber sie bleibt der Ausdruck einer lebensbedrohlichen, umweltzerstörenden, kolonialistischen und unsozialen Wirtschaftskette, ohne einen Plan für sogenannte „Restrisiken“.
Wir können den kraftvollen Protest im Wendland, an den Bauzäunen und auf den Schienen nicht vergessen und sollten unser mögliches tun auch weiterhin ein Stachel im Fleisch der Atomindustrie zu bleiben. Der verlogene Ausstieg, kommende Transporte und besonders das „Endlager“-Suchverfahren, welches in den nächsten zehn Jahren einen „Endlagerstandort“ in Deutschland festlegen möchte, sollte uns, wie auch Standorte in den Nachbarländern, weiterhin mobilisieren.
Der Staat zielt auf uns alle
Vor etwas über zehn Jahren ermittelten die Behörden gegen Genoss*innen in Tarnac. Das Verfahren wegen Bildung einer zu Anfang sogar als „terroristisch“ bezeichneten Gruppe, lief nach zehn Jahren ins Leere. Dennoch wirkten Kontrolle und Repression. Der Prozess mobilisierte auch damals internationale Solidarität, die in diesen Tagen erneut gefragt ist. Doch die übermäßige Kriminalisierung ist kein Spezifikum, dass nur die Antiatombewegung bedroht.
Die „kriminelle Vereinigung“ kann als Werkzeug des autoritären Staates begriffen werden, dass durch die Überzeichnung eines bedrohlichen Feindes von Links das Recht unendlich dehnt. So sind diese Verfahren primär zur Einschüchterung und Überwachung gedacht wie sich vielfach, etwa am MG-Verfahren und auch jüngsten Ermittlungen belegen lässt. Auflagen wie solche des Bure-Verfahrens nehmen zudem durch massive Freiheitseinschränkungen noch weit vor möglichen Verurteilungen die Bestrafung vorweg.
Zunehmend kommt es europaweit zur Anwendung dieser Mittel gegen Linke, die dann stellvertretend für unseren legitimen Widerstand büßen sollen. Auch in jüngster Zeit kam es erneut zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Sei es infolge des Hamburger G20 oder von notwendigen antifaschistischen Interventionen in letzter Zeit: Der hiesige § 129 findet inflationäre Anwendung und zielt darauf, den Widerstand gegen das kapitalistische System und die autoritären Bestrebungen der Regierungen und rechtsradikale Bedrohungen, zu brechen.
Doch wir lassen uns nicht einschüchtern und sagen dem bürgerlichen Staat und seiner Justiz den Kampf an. Sei es auf den Straßen oder im Internet. Sei es gegen die Nazis, die Repressionsorgane oder die industrielle Mafia: Wir stehen solidarisch mit unseren Kompliz*innen und lassen uns nicht spalten. Der Bure-Widerstand ruft zur Solidarisierung mit den stellvertretend beschuldigten Genoss*innen auf.